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Bedürfnisse im Mittelpunkt von Coaching und Therapie TEIL 4

Wenn es für Zufriedenheit und Wohlbefinden ausschlaggebend ist, dass ein Klient seine Bedürfnisse kennt und befriedigt, dann sollte dies der Mittelpunkt von Coaching und Therapie sein. Nach dem Leitsatz: Handeln = Wollen x Können, sollte sich Coach/Therapeut überlegen, ob ein Klient seine Bedürfnisse nicht umsetzen "will" (sie gar nicht kennt oder weil er Angst davor hat) oder kann (weil ihm die notwendigen Fähigkeiten oder Strategien fehlen). Wenn es am "Wollen" liegt, sollte man mit dem Klienten dessen Bedürfnisse herausfinden und seine Befürchtungen hinterfragen; wenn es am "Können" liegt, an der konkreten Umsetzung arbeiten.

Damit Klienten sich zu Veränderungen trauen, brauchen sie eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung. Diese aufzubauen, wird durch das Erkennen der Bedürfnisse des Klienten stark erleichtert. Wie? Indem man die Bedürfnisse des Klienten stillt, seinen Hunger sättigt, ohne dass er darum kämpfen muss. Einige Bedürfnisse werden automatisch erfüllt - durch die Aufmerksamkeit und Zuwendung des Coachs oder Therapeuten. Auf andere sollte man besonders achten, z.B. wenn ein Klient Autonomie braucht, ihn nicht zu sehr zu drängen und mehr abzuwarten. Bei der Bedürfnisbefriedigung kann man "den Löffel schon mal richtig voll machen" - viele Klienten sind sehr ausgehungert in ihren Bedürfnissen. Aber: Man sollte den Löffel nicht kurz vor dem Mund wieder absetzen (!) und es auch ernst meinen. Es nützt nichts, dem Klienten zähneknirschend zu sagen: "Nein, Sie sind mir der liebste Klient."

Geht man hingegen auf die Bedürfnisse des Klienten ein, hilft man ihm, das zu werden, was er sein könnte.

Ein weiterer Aspekt ist in Coaching und Therapie sehr wichtig: Beziehungstests! Klienten, die massiv in ihren Bedürfnissen verletzt wurden, haben Angst, wieder verletzt zu werden. Aus Angst vor erneuter Verletzung bauen sie Hürden für andere auf, versuchen sich zu schützen, z.B. indem sie sich besonders unangreifbar, schroff oder abweisend verhalten. Gleichzeitig haben sie aber insgeheim die Hoffnung, dass jemand diese Hürden überwindet, die Prüfung besteht. Der Punkt der größten Verletzung ist zugleich auch der Punkt des "geheimen Wunsches", sein Bedürfnis doch noch erfüllt zu bekommen! Klienten könnten also Angst haben, dass sich ihr Coach/Therapeut im Sinne ihrer schlimmsten Befürchtungen verhält (z.B. sie kritisiert oder ablehnt). Beziehungstests sind dabei Verhaltensweisen von Klienten, die dazu führen können, dass ihr Coach/Therapeut sich im Sinne ihrer Befürchtungen verhält. So könnten Klienten, die Ablehnung befürchten, ihren Coach/Therapeuten selbst massiv kritisieren oder distanzlos werden.

Erkennt der Coach/Therapeut, dass es sich bei solchen Verhaltensweisen um Beziehungstests handelt, dann kann er sich im Sinne ihrer Hoffnungen, ihrer Bedürfnisse verhalten und nicht im Sinne ihrer Befürchtungen. Das hilft, ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis aufzubauen und dem Klienten eine (korrigierende) positive Beziehungserfahrung zu vermitteln. Diese Beziehungstests können - besonders bei persönlichkeitsgestörten Klienten - immer wieder auftauchen und müssen evtl. in späteren Sitzungen angesprochen werden, damit den Klienten bewusst wird, was sie tun.

Ein Fallbeispiel

Einer meiner Klienten, Mitte Dreißig, wurde in der Kindheit vom Vater massiv abgelehnt, er wurde geschlagen, abgewertet und ihm wurde signalisiert, dass er nur stört. Sein Bedürfnis nach Bindung und Anerkennung wurde extrem verletzt. Daraufhin baute er eine Schutzmauer, um seinen wunden Punkt zu schützen: Er wurde "hart", zeigte keine Gefühle mehr und verletzte andere, um nicht mehr selbst verletzt zu werden. Er baute das Image auf, unverletzbar zu sein; ein "harter" Bursche, der sich nichts gefallen lässt und sich nichts aus Gefühlen macht. Als Erwachsener verliebt er sich. Seine Partnerin erwidert diese Liebe, ist aber enttäuscht, dass immer, wenn sie sich näher kommen, er zurückweicht, zynisch wird und sie damit verletzt. Seine Beziehung steht auf dem Spiel, es ist nicht die erste, die durch dieses Verhalten zerbricht. Da ihm die Beziehung sehr wichtig ist, kommt er zum Coaching. In seiner Beziehung ist es ihm wichtig, dass seine Partnerin ihm zeigt, wie sehr sie ihn liebt (der "geheime Wunsch" nach Bindung und Akzeptanz), doch gleichzeitig hat er Angst, selbst Gefühle zu zeigen, er könnte ja für weich, verletzlich gehalten werden (Punkt der schlimmsten Verletzung). Im Coaching war es notwendig, seine Ambivalenz und seine Bedürfnisse klar heraus zuarbeiten. Dann, zwischen damals und heute zu differenzieren und Bereiche zu bestimmen, wo es heute "erlaubt" und für seine Bedürfnisse notwendig ist, Gefühle zu zeigen. Wichtig war auch, zu erkennen, dass er heute mit möglichen Verletzungen umgehen kann und nicht daran zerbricht. Und dass er ausprobiert, Gefühle zu zeigen und damit gemachte Erfahrungen im Coaching besprechen kann. In der Beziehungsgestaltung war es wichtig, dem Klienten viel Autonomie zu gewähren, langsam vorzugehen und den Klienten nicht zu drängen, möglichst schnell Gefühle zu zeigen. So nach und nach "traute" sich der Klient, seine Gefühle ernst zu nehmen und der Umwelt gegenüber zu äußern. Das rettete seine Beziehung und machte sein Leben vollständiger.

Ausblick

Ich hoffe, dass ich Ihnen die Wichtigkeit von Bedürfnissen deutlich machen konnte. Es ist weiterverbreitet, bestimmte Bedürfnisse zu unterdrücken. Damit erscheint das erst mal normal und nicht hinterfragbar. Wie ich aber darstellte, bedeutet die langfristige Unterdrückung (vermeidbare) psychische Probleme. Als Coach und Therapeut (egal ob als Arzt, Psychologe oder Heilpraktiker) sollte man dem Klienten vermitteln, dass es wichtig ist, eigene Bedürfnisse ernst zu nehmen und sie zu erfüllen. Damit verbessert sich das Wohlbefinden, was zu einer Stärkung des Glaubens in sich und seine Ressourcen führt und damit eine positive Spirale auslösen kann.

Exkurs: Die Bedürfnispyramide von Maslow

Eine gute Einteilung von Bedürfnissen ist die Bedürfnispyramide von Maslow. Er unterscheidet aufeinander aufbauende Bedürfnisgruppen. Dabei müssen die vorhergehenden Bedürfnisse erfüllt sein, damit die anschließenden erfüllt werden können.

 

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© Norman Ehlert
Diplom-Psychologe, NLP-Trainer, Heilpraktiker (Psychotherapie)
Mehr Informationen unter:
Ausbilder Heilpraktikerausbildung Psychotherapie und Heilpraktikerschule norman-ehlert.de

Von: Norman Ehlert ]


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