on-TOPIC Artikel

Sitzen bleiben an deutschen Schulen: noch zeitgemäß?

Zumindest wird sie längst nicht mehr von allen als sinnvolle Maßnahme im deutschen Bildungssystem anerkannt: die Möglichkeit, einen Schüler oder eine Schülerin nicht in die nächste Klasse zu versetzen. In einem Land wie Finnland, das in der PISA-Studie 2003 besonders gut abgeschnitten hat, gehört das "Sitzen bleiben" zu den seltenen Ausnahmen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält das "Sitzen bleiben" nicht nur aus diesem Grund für eine kostspielige und absolut entbehrliche Maßnahme. Aber es gibt durchaus auch andere Stimmen.

Argumente

Das "Sitzen bleiben" kostet das deutsche Bildungssystem viel Geld. Zu diesem Schluss kam jedenfalls die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie bezifferte die durch das "Sitzen bleiben" verursachten Mehrkosten für das Bildungssystem auf 1,2 Milliarden Euro. Immerhin 850 Millionen Euro an Mehrkosten sah auch der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm. Schließlich entsteht durch die Wiederholer auch Mehrarbeit für die Lehrerinnen und Lehrer. Dieses Geld - so die Argumentationen gegen das "Sitzen bleiben" - könne man wesentlich besser in Maßnahmen investieren, die die Schüler während ihrer Schullaufbahn begleitend unterstützen.

In Finnland werden die Lehrkräfte beispielsweise bei Bedarf von Assistenten und Assistentinnen im Unterricht begleitet. Auf diese Weise können Kinder und Jugendliche Defizite aufholen, ohne eine "Ehrenrunde" drehen zu müssen. Die Schulexpertin und stellvertretende Vorsitzende der GEW, Marianne Demmer, argumentiert zusätzlich, dass "Sitzenbleiber" zu Versagern gestempelt werden, ohne dass die Wiederholung der Klasse den meisten von ihnen zu verbesserten Leistungen verhilft. Auch sie sieht bessere Investitionsmöglichkeiten für das Geld, das bisher fürs "Sitzen bleiben" verwendet wird: beispielsweise in einer Verstärkung der psychologischen und sozialpädagogischen Fachkräfte an den Schulen oder in einem Nachhilfefond für finanzschwache Familien. Tatsächlich ist oftmals nicht mangelnder Intellekt Ursache für schwache Schulleistungen, sondern ein Problem im sozialen, beispielsweise familiären Umfeld der Kinder und Jugendlichen.

Eine verstärkte, intensivere Betreuung von Schülerinnen und Schülern könnte hier hilfreich sein. Gute Nachhilfe gut ausgebildeter Nachhilfelehrer ermöglicht wiederum besonders individuelles Lernen, das optimal auf den Einzelnen abgestimmt ist. "Es existiert auch in Jobbörsen eine Fülle guter Angebote für Nachhilfe", so Torsten Daus, Geschäftsführer der Jobbörse Ansus.de, "eine konsequente Nutzung solch individualisierter Lernangebote macht die Wiederholung von Klassen für Schülerinnen und Schüler weitgehend überflüssig. Stärkere Betreuung des Einzelnen ist ein fehlendes Element im deutschen Bildungssystem". Befürworter der "Nichtversetzung" sehen in ihr jedoch weiterhin die Chance für Kinder und Jugendliche, Versäumtes nachzuholen. Die finnischen PISA-Ergebnisse legen zumindest die Vermutung nahe, dass es auch ohne geht.

Von: Andreas Reer ]


zurück     zurück letzte Seite